Timo Peiter *my new life
Du bist erst gescheitert, wenn Du aufgibst

Wie es dazu kam.

Es fing an, wie so oft, mit ganz kleinen Dingen. Erste Anzeichen, die es schon 2016 gab, die ich aber erst heute zuordnen kann, waren alles Dinge, mit denen niemand zum Arzt gehen würde. Da fiel mir einfach die Socke nach dem auseinander falten einfach aus der linken Hand. Kopfschütteln, aufheben, weitermachen. Heute frage ich mich, warum man die Socken überhaupt so in einander stülpen muss, aber das ist wohl ein anderes Thema und besser im Bereich "Blickwinkel" aufgehoben... mal sehen.

Ein anderes Mal hockte ich auf unserer Wiese und wollte einen Blick unter die Abdeckplatte einer kleinen Mauer werfen und bin einfach nach hinten umgekippt, was eher für schadenfrohes Lachen, als Sorgenfalten gesorgt hat. Da war dann halt die Wiese uneben und ich habe nicht richtig über meinen Füßen gehockt. Also auch hier aufstehen, mit lachen und weiter geht's.

Dann kam allerdings der Tag, als ich bei meiner Mutter in der Küche den "Anschiss" kassiert habe, ich solle mich doch gefälligst klar und deutlich ausdrücken. Meine Antwort darauf, dass ich das irgendwie nicht mehr kann, hat dann uns beide nervös gemacht und ich habe damit angefangen, die auftretenden Anzeichen in Stichworten aufzuschreiben um mit dieser Liste zum Hausarzt zu gehen.

Am 14. August 2017 war die Liste dann eine halbe DIN A4 Seite lang und ich hatte meinen Termin beim Hausarzt. Der schrieb mir nach kurzem Gespräch und Untersuchung gleich zwei Überweisungen - zum MRT (Schädel) und in die Neurologie. Um die Termine wollte er sich kümmern.

Zum ersten Mal mulmig wurde es mir, als kurz nach meinem Termin schon der Anruf kam, ich hätte einen Termin gleich Übermorgen, ganz früh in der Radiologie einer Klinik in unserer Nähe. So schnell? Ist das jetzt so dringend? Hat der Hausarzt eine Vermutung, die er mir gegenüber nicht äußert?

Also ging es zwei lange Nächte später am 16. August 2017 in die Klinik zum MRT Schädel. Ist schon ein Scheissgefühl, wenn man ohne Platzangst zitternd in der knatternden Röhre liegt, weil mir der Reihe nach alle möglichen Bilder und zugehörigen Krankheiten durch den gerade "gescant" werdenden Schädel laufen.

  Bei dem anschließenden Gespräch und Durchsicht der Bilder mit dem Radiologen durchlebte ich in permanentem Wechsel Erleichterung und Panik. Der Radiologe scrollte erst durch alle Bilder durch, drehte sich zu mir um und fragt: "Und mit welchen Symptomen sind Sie denn zu mir geschickt worden?". Nach meiner Erklärung dreht er sich mit nur einem Wort wieder zu seinem Bildschirm um - "Komisch" - und scrollt nochmals, diesmal aber deutlich langsamer, durch alle Bilder des MRT. So konnte er dann solche Traumvorstellungen wie Tumore, Multiple Sklerose und ähnliches Ausschließen, aber keine Ursache für meine Symptome ausmachen.

Dann ging es, fast in gleichem Tempo, in eine neurologische Praxis in direkter Nähe wo ich eine Reihe neurologischer Untersuchungen über mich ergehen ließ und mir ohne weitere Erklärungen gesagt wurde, man würde für mich einen Termin in der DKD (Deutsche Klinik für Diagnostik) in Wiesbaden machen, um meine Symptome klären zu lassen. Die könnten da viel mehr machen, war die einfache Begründung.

Nach einer Reihe sehr spät im Jahr liegender möglicher Termine, auch in anderen Kliniken, hat dann wieder mein Hausarzt die Sache in die Hand genommen. Ergebnis: Fünf ambulante Termine in der Zeit vom 25. Oktober bis zum 12. Dezember 2017 in der DKD.

Bis zum ersten Termin war die Liste meiner Symptome schon auf ein Seite gewachsen und die erste gravierenderen Ausfallerscheinungen erschienen auf der Liste, zum Beispiel "Kann in der Badewanne nicht mehr rückwärts abtauchen" - Ey ich hab' 'nen Tauchschein und sowas einfaches geht nicht mehr?, "Die Gabel fällt einfach aus der Hand", "Die Drehung der Axt beim Holzspalten geht nicht mehr", "Muskelkrämpfe in nie gespürten Ausmaßen", ...

In der DKD wurde ich dann, inbesondere Neurologisch, komplett auf den Kopf gestellt. Ich kann Euch sagen, das war kein Spaß. Außer der Ultraschalluntersuchung der Bauchorgane, die wurde von einer sehr netten Ärztin durchgeführt, die mir alles genau erklärt und meine Fragen beantwortet hat. So kamen wir ins Gespräch und hatten sogar noch das ein oder andere Mal etwas zum Lachen.

Die Untersuchungen in der DKD waren im Einzelnen - und macht Euch keinen Kopf, die Begriffe muss jeder googeln, der nicht Medizin studiert hat:

25. Oktober 2017

Eingangsuntersuchung


Blutabnahme


Röntgenuntersuchung Lunge


Spirometrie sitzend und liegend


MRT Halswirbelsäule

15. November 2017

Nervenleitgeschwindigkeitsmessung


Somatosensorisch evozierte Hirnpotentiale

20. November 2017

Motorisch evozierte Potentiale


MRT Halswirbelsäule mit Kontrastmittel


Ultraschall der Bauchorgane

27. November 2017

Lumbalpunktion


Blutabnahme

12. Dezember 2017

Elektromyographie


Diagnosegespräch


Innerhalb dieser Wochen habe ich dann auch zum ersten Mal vom Verdacht auf ALS und ALS überhaupt gehört. Und damit hat das Problem in meinem Kopf sehr viel Platz erhalten, denn ausnahmslos alle  Probleme auf meiner Liste passten in das Bild der ALS.

Also fuhr ich mit meiner Frau hervorragend Vorbereitet am 12. Dezember 2017 zur "Urteilsverkündung" ,auch Diagosegespräch genannt, zum fünften mal nach Wiesbaden. Das tiefe Tal der Tränen hatten wir da eher schon hinter uns...

Schon nach der letzten Untersuchung zog der Arzt ein Heft aus einem Schrank, auf dem ich schon die drei Buchstaben erkennen konnte. 

Dieses Heft wurde mir später dann auch überreicht:

 










Es folgte ein sehr ausführliches Diagnosegespräch, das alle Untersuchungen nochmals erklärte und mit den Worten "... und dann bleibt nur noch die amyotrophe lateralsklerose", das Ende des ersten Aktes einleitete. 


Der zweite Akt war dann dermaßen ernüchternd und hinterließ nur das Gefühl, alleine gelassen zu sein, dass ich später sagte: Da hilft mir keiner, da kann nur ich mir selbst helfen."

Und damit war auch der Startschuss für mein neues Leben gefallen, zum Anfang erst mal nur mit Riluzol, Physiotherapie und Logopädie.

 

Gästebuch/Kommentare